Meine schwierige Pubertät / Jugendzeit

(und mein Bericht über meinen LSD- Horror-Trip von 1978, verfasst im Jahr 2014)

 


Aus Sicht meiner Mutter (2 ihrer Berichte über mich, die sie wahrscheinlich anlässlich einer Erziehungsberatung 1976 und 1978 verfasste)

 

Aus dem Jahr 1976:

Mamas Bericht 1976Mamas Bericht 1976_bMamas Bericht 1976_c

 

Aus dem Jahr 1978:

 

Mamas Bericht 1978Mamas Bericht 1978_bMamas Bericht 1978_c

 


Aus meiner eigenen Sicht

Zuerst eine Zeichnung, die ich im Alter von 17 Jahren zeichnete:

Zeichnung Martin Kiechle 1976

 

Und jetzt möchte ich speziell auf eine Stelle des obigen Berichts meiner Mutter von 1978 eingehen, weil die damaligen Ereignisse rund um meinen, aus einer hohen Dosierung LSD resultierenden, sogenannten Horror-Trip, für meine Mutter nur sehr verzerrt wahrgenommen werden konnten und wurden, weshalb sie von ihr oben nicht entsprechend den eigentlichen Vorkommnissen berichtet werden konnten:

 

Im Früh-Herbst 1978 hatte ich LSD schon zu genüge kennen gelernt. Ich hatte einen neuen Bekannten, der LSD schon länger sehr hochdosiert zu sich nahm, und irgendwie bekam ich durch ihn das Gefühl, dass ich im Zusammenhang mit LSD-Konsum etwas sehr wesentliches noch nicht erkannt hatte, was er aber schon wusste. Was lag also näher, als ihn zu bitten, mir irgendwann einmal zu zeigen, was mit LSD wirklich alles möglich sein kann, und das tat ich auch. Voraussetzung dafür war natürlich, dass wir ausreichend gutes LSD zur Verfügung hatten, was zu dem Zeitpunkt, als ich ihn fragte, nicht der Fall war.

Einige Wochen später hatten wir endlich mal wieder einen größeren Vorrat gutes LSD in Form von sogenannten "Mikros" ergattert und gekauft. Wir hatten dann auch gleich am selben  Abend jeder einen halben Mikro davon genommen, alleine schon um uns zu vergewissern, dass die Qualität in Ordnung war.

Während wir spürten, wie die Wirkung einsetzte, kam mir der Gedanke, dass ich ihn doch vor einiger Zeit gebeten hatte, mir zu zeigen, was mit LSD alles möglich sein kann. Ich hatte es ihm gegenüber damals so formuliert, dass ich gesagt hatte: "Du musst mir irgendwann mal zeigen was ein Trip ist." Das war natürlich irgendwie komisch, weil ich ja schon viele LSD Trips genommen hatte, und zwar auch mit ihm zusammen, aber andererseits drückte es genau aus, was ich ahnte und von ihm wollte, und das verstand er wohl auch, denn er äußerte sich damals nicht irgendwie irritiert oder erstaunt über meine Bitte. Danach war zwischen uns sozusagen stillschweigend geklärt, dass er mit der Wirkung von LSD etwas anfangen konnte, von dem ich offensichtlich noch nichts wusste, sondern lediglich eine seltsame Ahnung hatte, dass da noch mehr ist, als ich bisher erlebt hatte.

Nun waren wir also zusammen auf einem beginnenden halben LSD-Trip, hatten noch genügend weitere Mikros bei uns, und ich sagte ihm, heute wäre doch der ideale Zeitpunkt, zu dem er mir zeigen könne, was ein Trip ist, und zwar in dem wir zu dem halben Mikro, den wir schon genommen hatten, und der auch schon zu wirken begonnen hatte, gleich jeder noch mal einen ganzen Mikro dazu schlucken würden.

Er überlegte kurz und sagte dann, dass er sich schon am nächsten Morgen mit zwei Freunden verabredet hatte, und zwar um gemeinsam mit ihnen jeweils zwei Mikros auf einmal zu schlucken. Er würde aber jetzt trotzdem bei meiner Idee mitmachen, allerdings unter der Voraussetzung, dass ich ihm versprechen würde, dass ich am nächsten Morgen ebenfalls mitmachen würde, und also dann zusätzlich zu den bisherigen eineinhalb genommenen Trips zusammen mit ihm und seinen Freunden noch zwei weitere Mikros schlucken würde. Ich dachte mir, na gut, wenn er meint, er soll mir ja schließlich zeigen was ein Trip ist. Also willigt ich ein, und wir nahmen jeder einen weiteren Mikro...

Dann fuhren wir mit der Straßenbahn und dem Bus zu ihm nach Hause in die Hochhaussiedlung, wo er noch bei seinen Eltern lebte. In seinem Zimmer angekommen spürte ich schon deutlich, wie der weitere Mikro zu dem zuvor schon wirkenden halben Mikro zu wirken begann, und ich war voller Erwartung, was er mir nun zeigen würde, und was wir wohl machen würden. Er aber legte sich nach kurzer Zeit auf sein Bett und es sah so aus, als schliefe er ein! Für mich war das unglaublich, denn er hatte ja wie ich auch eineinhalb gute LSD-Mikros geschluckt, und ich spürte oberdeutlich, dass sie voll wirkten. Wie konnte er jetzt nur hinliegen und die Augen zu machen? Dass er schlief, konnte ich mir nicht vorstellen. Als ich ihn fragte, was denn los sei, und warum er sich hinlegt, reagierte er nicht, so dass ich gar nicht mehr wusste, was ich davon zu halten hatte...

Klar, dass mir auch solche Gedanken durch den Kopf gingen, ob mit ihm alles in Ordnung ist, oder ob er vielleicht irgendwie meine Hilfe braucht. Andererseits hatte doch gerade er ausreichend Erfahrung mit hohen Dosen LSD, und er wollte mir doch speziell heute Nacht zeigen, was man mit LSD erleben kann, was ich noch nicht kenne. Es passte alles nicht zusammen. Währenddessen begann der zusätzlich genommene Mikro seine volle Wirkung zu entfalten, und normalerweise wäre ich in diesem Zustand lieber draußen umher gelaufen und hätte die Wirkung und Halluzinationen in vollen Zügen erlebt. Ich sollte mir einfach keine Sorgen machen, dachte ich, und erst mal zum Fenster gehen, um zu sehen, wie die Umgebung draußen inzwischen aussieht. Mit ihm wird schon alles ok sein, und er wird schon selbst wissen, was er tut.

Und das war genau der Moment, in welchem er genau eine Sekunde bevor ich aufstehen wollte (ich kniete bisher vor seinem Bett) plötzlich ein lautes kurzes Grunzgeräusch von sich gab! Was war denn das? Meinte er irgendwie mich damit?? Abe ich hatte ja nichts gesagt davon, dass ich jetzt aufstehen und zum Fenster gehen wollte! Also Zufall! Anders konnte es nicht sein. Gut. Dann also doch aufstehen und zum Fenster gehen, beschloss ich.

Und wieder grunzte er einen winzigen Augenblick bevor ich meinem Körper den endgültigen Befehl gab, aufzustehen. Ich hatte mich bisher nicht gerührt, und er lag auch mit geschlossenen Augen vor mir auf seinem Bett! Was war da nur los? Das hing ja offensichtlich doch mit mir zusammen?!?!? Andererseits konnte ich mir das nicht erklären. Also war es wohl nur ein unglaublicher weiterer Zufall, richtig? So ging es in meinem Kopf hin und her, geölt durch die hohe Dosis LSD! Ich schaute auch ganz genau hin, ob er seine Augen wirklich geschlossen hatte, und dabei sah ich plötzlich über seinen geschlossenen Augen auf seiner Stirn ein weiteres Augenpaar (ganz klar seine Augen, wie ich sie auch kannte), welches offen war und mich anschaute. Eine Halluzination. Klar. Kein Problem, ich war ja schließlich auch auf LSD. Also sollte ich mich einfach von dieser ganzen Situation und den verwirrten Gedanken lösen, und endlich aufstehen und zum Fenster gehen.

Doch kurz bevor meine Muskeln den Befehl zum Aufstehen erhielten, grunzte er wieder, diesmal aber zwei mal...! An Zufall zu denken war nun kaum noch möglich! Vor allem dann nicht mehr, als dieses 'Spielchen' die ganze Nacht so weiter ging, und ich tatsächlich nicht dazu kam auch nur einmal aufzustehen!

Schließlich wurde es langsam hell, und ich war inzwischen völlig überzeugt davon, dass mein Bekannter tatsächlich meine Gedanken lesen konnte, und es ganz genau das war, was man mit LSD machen kann, was ich noch nicht erkannt hatte, und er mir jetzt (auf meine Bitte hin) die ganze Nacht mehr als klar bewiesen hatte. Aber das bedeutete natürlich auch, dass er nicht nur den Gedanken von mir, aufzustehen und ans Fenster zu gehen, wahrnahm, sondern logischerweise auch alle meine anderen Gedanken. Auch die heimlichen Wünsche und Sehnsüchte nach Liebe und Sex, usw. Alles eben!

Kurz bevor die beiden Freunde dann kamen, stand er auf (ohne auf eine Uhr gesehen zu haben), ging zur Tür und öffnete, als es nach wenigen Sekunden klingelte...! Die beiden Freunde hatte er also auch kommen spüren, bzw. war mit ihnen gedanklich in Verbindung!? Anders konnte es ja nicht sein!

Inzwischen war ich schon völlig verwirrt und geschockt, dass meine Gedanken und Gefühle wie ein offenes Buch zu sein schienen. Die Tränen liefen mir schon eine ganze Zeit lang übers Gesicht. Und dann waren die beiden Freunde von ihm da, und ich war ja an mein Versprechen gebunden, weitere zwei Mikros mit ihnen zu schlucken. Und das tat ich dann trotz meines Zustandes auch wirklich!!

Nun intesivierte sich alles noch viel mehr! Die beiden Freunde waren kurze Zeit später auch unter der Wirkung von LSD, und jede Bemerkung, jede Bewegung, einfach alles was passierte, bestätigte mir meinen Verdacht, der inzwischen keiner mehr war, sondern zu einer unfassbaren Gewissheit geworden war: Für geübte LSD-Konsumenten lagen meine Gedanken und Gefühle schon immer offen wie ein aufgeschlagenes Buch, während ich mir nie darüber bewusst gewesen war. Gerade meine ganze sexuelle Verklemmtheit und meine diesbezüglichen Sehnsüchte konnten schon immer alle glasklar sehen und erkennen, die etwas Übung im Umgang mit LSD hatten! Peinlich ist gar kein Ausdruck für das Gefühl, das damit verbunden war. Es war eine Katastrophe! Ich war bisher offensichtlich der einzig telepathisch Blinde und vielen Sehenden...!

Als wir dann später an der Dreisam (einem hießigen Fluss) in Richtung Stadt liefen, redeten die anderen Drei von Diskobesuch und Frauen treffen. Außerdem ging es unvermindert so weiter, dass sie alle Drei klar auf meine Gedanken reagierten! Ich kam da gefühlsmäßig nicht mehr mit, und das machte sich körperlich bemerkbar in dem ich dauernd langsamer wurde, als die drei Anderen. Wenn ich ca. 30 Meter hinter ihnen zurück geblieben war, und dann ganz stehen blieb, weil ich mir überlegte, ob ich mich vielleicht direkt hier in der Dreisam ertränken sollte, als sexuell verklemmtes und telepatisch blindes Katastrophenbündel, als das ich mich fühlte, -- tja, genau dann blieben die Drei mehrfach alle stehen und drehten sich zu mich um...!

Letzten Endes ließen sie mich aber schließlich zurück, denn immerhin waren sie ja dabei ihren Doppel-Mikro-Trip zu genießen, und wollten nicht Aufpasser oder Kindermädchen für mich sein. Als sie in der Ferne verschwanden und ich mir klar wurde, dass ich jetzt für mich alleine war, begann es mir etwas besser zu gehen. Ein wenig meines Lebenswillens kam wieder durch den Zustand der Verwirrung an die Oberfläche meines Bewusstseins, und ich beschloss, dass ich jetzt gleich 100% beschließen müsse, mein Leben gründlich zu ändern, und vor allem die sexuelle Verklemmtheit zu bekämpfen und los zu werden, oder aber mich gleich hier und jetzt im Fluss ertränken sollte.

Nun ja, ich konnte es ja mal versuchen. Umbringen konnte ich mich ja immer noch, wenn's nicht klappen sollte. Aber der Entschluss war erst mal gefasst, und insofern meine Basis dafür, dass ich mein Leben nicht jetzt und hier beenden würde.

Also begann ich langsam in Richtung Stadt zu gehen. Die Wirkung des LSDs (wie ich es bislang kannte) konnte und wollte ich jetzt nicht länger genießen. Ich hatte ja auch deutlich wichtigeres zu tun, mit meinem Entschluss, mein Leben grundlegend zu ändern! Dass ich dies - außer dem festen Entschluss ansich - nun nicht gerade auf diesem hochdosierten Trip  erfolgreich beginnen können würde, war mir wenigstens klar. Es galt also erst einmal das Nachlassen der Wirkung des LSD abzuwarten. Aber wo und wie sollte ich das tun? Am besten in den Wald und einfach erst mal spazieren gehen! Die Wirkung war nach wie vor unheimlich stark. Es waren ja auch immerhin innerhalb der letzten ca. 20 Stunden 3 einhalb sehr guter LSD-Mikros gewesen, die ich geschluckt hatte...

Das Spazierengehen im Stadt-Wald auf dem Schlossberg tat mir gut. Obwohl ich inzwischen schon so weit war, dass ich festzustellen glaubte, dass sogar der Wind auf meine Gedanken und Gefühle reagierte. Trotzdem war die Natur sehr beruhigend für mich, und als ich dann den wunderschönen Sonnenuntergang betrachtete, fühlte ich doch wieder ein Wenig meiner früheren Selbstsicherheit. Ich beschloss daraufhin, zu meinen Eltern nach Hause zu gehen, und zu versuchen, die restliche Zeit der LSD-Wirkung in meinem Bett mit schlafen hinter mich zu bringen. Das war natürlich nur ein frommer Wunsch, so erregt wie ich insgesamt war, und so stark, wie das LSD noch wirkte. Aber mir viel nichts anderes ein, wie ich diesen wahnsinns Trip einigermaßen sicher überstehen könnte.

Daheim stellte sich schnell heraus, dass ich es in meinem Zimmer nicht lange aushalten konnte. Mein Kopf war voller Gedanken über die neue Erkenntnis der Möglichkeit des Gedankenlesens unter Zuhilfenahme von LSD, und meine Sinne waren durch das LSD nach wie vor halluzinogen miteinander gekoppelt. An Schlaf war gar nicht zu denken, wie ich sofort merkte, als ich mich ins Bett legte, und in meinem Zimmer wurde es mir einfach zu eng, obwohl ich die Sicherheit genoss, die es mir vermittelte. Ich sammelte den kleinen Anflug von Selbstbewusstsein, den ich bis dahin wieder erlangt hatte, und beschloss in die Stadt zu laufen, und später auf die Fête im Freiburger "Fuchsbau" zu gehen, denn ich wusste, dass meine Bekannten, mit denen ich am Morgen die zwei zusätzlichen Mikros geschluckt hatte, auch davon geredet hatten, am Abend auf diese Fête zu gehen.

Der Weg in die Stadt war einigermaßen angenehm, denn dabei traf ich auch so gut wie keine Menschen. In der Innenstadt angekommen änderte sich das allerdings schlagartig. Ich begegnete wildfremden Menschen, die miteinander redeten und mich offensichtlich gar nicht beachteten, hörte aber plötzlich Worte und Satzfetzen, die mir 'bewiesen', dass diese Menschen tatsächlich über mich und meine momentanen Gedanken und Gefühle sprachen... Mein halluzinogener Zustand unterstützte diese Paranoia natürlich, und meine ganze Unsicherheit und Verzweiflung vom Vormittag kehrte nach und nach wieder zurück...

Dennoch folgte ich meinem Plan und ging in Richtung des "Fuchsbaus". Einige hundert Meter davor begegnete ich einem mir vom Sehen bekannten Junkie. Er sah mich an und blieb stehen. Natürlich blieb ich auch stehen. Waren vielleicht sogar die Junkies in der geheimen Bruderschaft der LSD-Gedankenleser, fuhr es mir durch den Kopf. Ich sah in nur an und konnte kein Wort sagen. Wozu auch, wenn er vielleicht jeden Gedanken in meinem Kopf lesen konnte? Er griff in seine Jackentasche, holte etwas Kleines rundes heraus und gab es mir mit den Worten: "Hier, das ist für heute Abend." Es war eine weiße Tablette. Ich nahm sie, während ich mir krampfhaft überlegte, was ich von der Begegnung halten sollte, und er ging weiter. Ich ging dann auch weiter, schaute mir die Tablette genauer an, und sah, dass es eine VALIUM Tablette war, also ein Schlaf- oder Beruhigungsmittel. Ich steckte die Tablette ein.

Nach zwei Schritten blieb ich wie angewurzelt stehen. Hatte ich gerade eine VALIUM Tablette bekommen, und diese auch noch wie selbstverständlich eingesteckt?? War ich etwa im Begriff zu akzeptieren, dass ich auf einem HORROR-Trip war, und dass ich ohne Beruhigungsmittel nicht mehr davon runter kommen würde?? Das durfte nicht sein, beschloss ich, und ich warf die Tablette sofort in den Straßengraben. Aber die Selbstverständlichkeit, mit der ich die Tablette eingesteckt hatte, und mit der ich seine Bemerkung folgerichtig zu meiner Situation passend eingeordnet hatte, erschreckte mich nach wie vor.

Dann sah ich den Eingang des Fêtenkellers -- und ging daran vorbei! Ich fühlte die vielen jungen Menschen dort unten fast körperlich! Waren sie alle schon lange in der Lage auf LSD Gedanken zu lesen? Konnten sie es nach einiger Übung inzwischen vielleicht auch ohne LSD? War es so, dass sie alle schon lange darauf warteten, dass ich als einzig telepatisch noch Blinder endlich aufwachen und meine mentalen Antennen ausfahren würde?? Vieles sprach plötzlich dafür, wie ich fand.

Ich ging einmal um den Block, noch mal am Eingang vorbei, noch einmal um den Block, und dann wagte ich es endlich, die Treppe hinunter zu gehen. Unten an der Kasse (es spielte eine Band) standen mehrere junge Leute, die ich vom Sehen kannte, und die mich auch kannten. Darunter natürlich auch Frauen. Von einigen wurde ich begrüßt mit Worten wie "Hi Maki, bist Du auch da?" und Ähnlichem. Leider konnte ich aber nicht antworten, denn wie waren solche Worte mir gegenüber denn gemeint? Sie gehörten ja wahrscheinlich alle zur Gemeinschaft der Gedankenleser, die schon lange nur darauf warten, dass ich es endlich auch checke! So gesehen war eine Frage wie "Bist Du auch da?" natürlich vielleicht gar nicht auf meine körperliche Anwesenheit bezogen, sondern musste übersetzt eigentlich lauten: "Hast Du es nun endlich begriffen und gehörst jetzt auch zu uns?"

Das konnte ich aber nicht klar bestätigen, denn ich hatte zwar endlich erlebt, dass meine Gedanken offensichtlich für jeden offen lagen, der zu dieser Gemeinschaft der LSD-Gedankenleser gehörte, konnte aber leider gar nicht feststellen, dass ich die Gedanken der Anderen genauso offen lesen konnte (obwohl ich nach wie vor unter starker LSD Wirkung stand). Irgendwie hatte mein Bekannter mir nur gezeigt und bewiesen, dass er meine Gedanken lesen konnte, nicht aber den Weg, wie ich seine hätte lesen können...

Solche und ähnliche Gedanken schossen mir durch den Kopf, als die Anderen mich freundlich begrüßten. Sagen konnte ich nichts. Wozu auch? War ja gar nicht nötig, wenn sie sowieso alles wie in einem offenen Buch sehen konnten, was ich dachte!

 

Ab diesem Zeitpunkt hätte mich jeder x-beliebige Mensch ohne Gegenwehr meinerseits in die Psychatrie einweisen lassen können. Ich konnte keine Antworten mehr geben, weil ich nie sicher war, wie es eigentlich gemeint war, was ich gefragt wurde. Ich stand nur noch hilflos zwischen den Leuten und spürte wie mir die Tränen unaufhörlich übers Gesicht liefen...

Aber statt einem x-beliebigen Mensch sah mich ein anderer Freund. Meine drei Tripp-Kollegen vom Morgen hatte ich übrigens auch auf der Fête gesehen, aber die kümmerten sich nicht weiter um mich...
Der andere Freund sah mich, begrüßte mich und sah während dessen sofort, dass mit mir etwas nicht in Ordnung war. Er fragte mich: "Bist Du drauf?" Das war natürlich wieder genau so eine Frage, auf die ich keine Antwort geben konnte, wäre es doch möglich gewesen, dass sie viel weitreichender gemeint war, als man normalerweise annimmt. Ich schaute ihn nur hilflos an, wie ich in dieser Zeit jeden hilflos anschaute und spürte meine Tränen weiterhin unaufhörlich fließen.

Da fragte er mich: "Kannst Du mich verstehen?" Ich konnte nach wie vor nichts anworten, denn wie meinte er verstehen? Telepatisch? War er auch schon lange auf diesem hohen geistigen Level?? Während ich noch grübelte, sprach er sofort weiter: "Maki, wenn Du meine Stimme hören kannst, dann nicke einfach mal kurz mit dem Kopf." Ich überlegte blitzschnell hin und her, kam aber dann nach wenigen Sekunden zum Ergebnis, dass dies genau so gemeint sein musste, wie es gesagt worden war. Also nickte ich mit dem Kopf. Seine Mimik hellte sich augenblicklich auf und er führte mich in eine ruhigere Ecke und sagte: "Alles klar, Maki, bleib einfach hier stehen, ich hole kurz die Anderen, und dann fahren wir zusammen in unsere WG, alles klar?" Ich nickte abermals und fühlte, wie sich eine große Erleichterung in mir anbahnte.

Er suchte seine drei Mitbewohner zusammen und ich blieb brav in der Ecke stehen, in der er mich abgestellt hatte! Als sie dann zusammen zu mir kamen, nahmen sie mich wortlos am Arm und führten mich aus dem Fêtenkeller ins Freie und zu dem Auto, mit dem sie da waren. Im Auto wurde kaum was gesprochen, aber sie strömten eine berfreiend gute Laune aus und mein Freund ließ Musik laufen und fuhr los. In der WG angekommen setzten wir uns alle ins gemeinsame Wohnzimmer. Es wurde Musik aufgelegt und ohne viel zu sprechen damit begonnen, eine Wasserpfeife mit Haschisch nach der anderen zu richten und zu rauchen.

Die ruhige Stimmung, meine Lieblingsmusik (YES) sowie das Haschisch beruhigten mich schon mal sehr. Zusätzlich wurden von den Dreien ganz vereinzelt irgendwelche kurzen Bemerkungen gemacht, die mir einerseits bestätigten, dass sie mich und meinen Zustand, sowie auch die Thematik, die mich so sehr beschäftigte einigermaßen erkannten, und andererseits klar machten, dass ich mich in etwas hineingesteigert hatte, das zwar irgendwie existierte, aber eben nicht so, wie ich es in meinem sensibilisierten Zustand die ganze Zeit über angenommen hatte (die Sache mit der Telepathie und der LSD-Telepathie-Gemeinschaft). Beispielsweise schaute mein Freund nach gefühlten Stunden ruhigen Musikhörens plötzlich auf, sah mich aufmunternd an, schaute wieder weg und sagte dabei wie beiläufig: "Weißt Du, Maki, Augen können alles sagen." DAS war ja genau meine Thematik!! Aber es war eben auf ein normales Level herunter geholt. Er wusste offensichtlich was mich grundsätzlich beschäftigte, sagte mir mit seiner Geste und seinem Satz, dass es keine Illusion von mir war, vermittelte mir aber gleichzeitig auch ein Gefühl dafür, dass ich mit der Annahme des regelrechten Gedankenlesens wohl klar übertrieben interpretiert hatte, was ich in der Nacht zuvor und am Morgen erlebt hatte.

Auf diese Weise konnte ich während dieser heilsamen Stunden mit meinen drei Freunden die Paranoia der LSD-Gedankenlesergemeinschaft langsam aber sicher abbauen, ohne jedoch die neu gewonnene Erkenntnis der realen Verbundenheit aller Lebewesen aufzugeben. Ein Geschenk, das mir in der Psychatrie mit Sicherheit nicht bescheert worden wäre...!

Am nächsten Vormittag lieferte mich mein Freund dann bei meinen Eltern ab, und sagte ihnen ganz offen, dass ich ein sehr belastendes Erlebnis unter der Einwirkung einer hohen Dosis LSD hatte, dass ich jetzt vor allem Ruhe und Abstand bräuchte und mich sicher wieder erholen würde.

Ich selbst wusste, dass ich mein Leben grundlegend neu ordnen musste, und dieser Moment eine Art von Neustart bedeuten MUSSTE. Ich brauchte auf jeden Fall erst einmal Abstand von allen Bekannten der Freiburger Drogenszene, und ich brauchte einen Job, damit ich beginnen konnte, mein Leben eigenverantwortlich zu leben. Wenn man keine Erwartungen und Ansprüche stellt, ist ein Job sehr schnell gefunden. Ich schlug die Zeitung mit den Stellenangeboten auf, und fand auf Anhieb ein Angebot als Spüler in einem Gasthof im Schwarzwald mit Kost und Logis. Genau richtig für meine Situation!

Ich bekam den Job und stabilisierte meine Psyche bei 12 Stunden Arbeit und einem freien Tag während der nächsten 30 Tage. In dieser Zeit las ich das Buch "Momo" von Michael Ende, welches ich aufsaugte wie ein angefeuchteter Schwamm das Wasser. Haschisch rauchte ich in diesen 30 Tagen nur einmal, als mich ein Freund besuchte, der in diesem Schwarzwalddorf gebürtig war und einen Joint mitbrachte. Sofort kamen die für LSD typischen Halluzinationen wieder, und ich spürte auch in Ansätzen meine Paranoia. Da ich diese aber nicht medikamentös verdrängt, sondern aktiv verarbeitet hatte, konnte sie sich nicht mehr in mir festsetzen! Aber kiffen wollte ich vorläufig lieber doch noch nicht.

Als Spüler sollte ich die Forellen aus dem Forellenbecken im Keller holen, töten und ausnehmen, sobald welche bestellt wurden. Dies verweigerte ich aber, was mir einigen Spott einbrachte. Kurz vor Sylvester 1978 war ich in der Mittagspause im Keller und bemerkte plötzlich, dass sich alle Forellen im Forellenbecken in meine Richtung auszurichten schinen. Schlagartig wurde mir bewusst, dass sie mich irgendwie wahrnahmen und ich mit diesen Lebewesen in ihrer Todeszelle real verbunden war! Und ich? Ich hatte sozusagen den Schlüssel für diese Todeszelle, hatte die Macht sie alle zu befreien. Das konnte ich nicht weiterhin ignorieren! Und so beschloss ich, alle 11 noch vorhandenen Forellen am Abend kurzerhand frei zu lassen.

Mein Plan war der, dass ich meinem Chef nach der Mittagspause (die für die Befreiungsaktion unbrauchbar war, weil ich sicher entdeckt worden wäre) sagen wollte, dass ich es mir überlegt hätte mit den Forellen, und dass er mich schicken könne, wenn die nächsten Forellen bestellt werden. Und damit hätte ich nicht mal gelogen! Genau so machte ich es dann auch. Dann begann der Hochbetrieb des Sylvester-Abends, und ich hatte zu spülen wie ein Weltmeister. Plötzlich hörte ich, dass zwei Forellen bestellt worden waren, und mein Chef aus der Küche nach mir rief, um sie hochzuholen. Jetzt musste ich also handeln, schoss es mir durch den Kopf. Und dieser Gedanke ließ mich zwei oder drei Sekunden zögern... Zu lange für die beiden Forellen, denn mein Chef schickte sofort jemand anderen, weil ich nicht ganz ohne zögern losgelaufen war...

Die beiden Forellen wurden in die Küche gebracht, ich hörte die beiden Schläge, mit denen ihr Leben genommen wurde, hörte wie sie in der Pfanne gebraten wurden, sah wie sie auf den Tellern ins Restaurant gebracht wurden und bekam kurz darauf die beiden Teller mit ihren Resten zum Spülen gebracht. Bei der einen war weit über die Hälfte nicht gegessen worden. Sie war für einige wenige Bissen Forellenfleisch gestorben, und natürlich auch wegen meines Zögerns...

Bei der nächsten Bestellung wollte ich nichts mehr riskieren und gar nicht auf die Aufforderung meines Chefs warten, sondern sofort unaufgefordert in den Keller rennen und rufen, dass ich es schon machen würde. Dazu kam es aber nicht mehr. Es wurden an diesem Abend keine weiteren Forellen bestellt!

Nachts um 4 Uhr tobte ein Gewitter über dem Dorf, während ich mich mit einem Orangennetz in den Keller schlich. Ich fischte alle 9 übrigen Forellen nacheinander mit meinem Orangennetz aus dem Becken (ich weiß heute gar nicht, warum ich keinen Kescher verwendete, es sollte ja theoretisch einer da gewesen sein; aber ich hatte ja noch nie eine Forelle geholt, und hatte mich einfach ganz auf Eigeninitiative und mein Orangennetz fixiert). Ich hatte zwei Eimer mit Wasser gefüllt, und verteilte die Forellen auf beide Eimer. Die vorletzte sprang mir aus dem Orangennetz, bevor ich sie in den Eimer befördern konnte und landete auf dem Boden! Etwas zögernd versuchte ich sie zu greifen (ich hatte vorher noch nie einen Fisch angefasst, geschweige denn eine ausgewachsene Forelle vom Fußboden aufgehoben). So gelang es mir natürlich nicht!

Nach zwei oder drei vergeblichen Versuchen machte ich mir klar, dass dieses Tier nun ersticken wird, wenn ich nicht endlich beherzt zugreife und es verhindere. Also packte ich sie mit beiden Händen gleichzeitig und beförderte sie endlich doch noch in den Eimer. Nie vergesse ich das Gefühl ihrer kraftvollen Bewegungen in meinen Händen! Danach musste ich die beiden Eimer durch knietiefen Schnee ca. 80 Meter zum Bach hinterm Haus tragen. Ein falscher Schritt, während ich mich mit den beiden Eimern durch den Schnee kämpfte, und alle 9 Forellen wären verloren gewesen. Im tiefen Schnee hätte ich sie nicht mehr gefunden, und außerdem wäre dann ja auch kein Wasser mehr in den Eimern gewesen. Trotz meiner Aufregung bemühte ich mich also langsam und sicher zu gehen, bis ich den Bach erreicht hatte. Und dann war es geschafft. ich kippte die beiden Eimer nacheinander samt Forellen in den Bach und freute mich, dass sie nun frei waren.

Am nächsten Morgen stand ich in meinen Sonntagskleidern vor dem Schlafzimmer des Chefs, als dieser aufwachte und raus kam. Er sah mich verwundert und verschlafen an, und bevor er etwas sagen konnte sagte ich: "Ich habe heute Nacht die Forellen befreit." Er starrte mich entgeistert an, drehte sich nach einigen Sekunden wortlos zur Treppe und ging in den Keller hinunter. Ich hinten dran. Dann sah er das verwaiste Forellenbecken. Wahrscheinlich glaubte er erst in diesem Moment, dass ich wirklich getan hatte, was ich eben gesagt hatte. Er schaute mich an, sah meine Sonntagskleider und sagte nur noch, ob ich nicht an die Arbeit gehen will, oder was los sei. Darauf erwiederte ich, dass die Forellenbefreiung auch gleichzeitig meine Kündigung war, da ich die nächsten Forellen wieder befreien müsse, sobald er neue bestellt hätte.

Spätestens in diesem Moment war er glaube ich völlig davon überzeugt, dass ich übergeschnappt sein musste. Wortlos ging er an mir vorbei nach oben.

Am gleichen Tag hörte ich auf Fleisch zu essen. Jetzt war es für die ganze Belegschaft klar, dass ich verrückt sein musste! Wie mir mein Freund, dessen Eltern im selben Dorf wohnten später erzählte, war ich mindestens zwei Wochen lang Thema Nummer eins der Dorfgespräche: Der verrückte Spüler im Gasthof Meyerhof! Dabei waren dies doch gerade meine ersten wichtigen Schritte in mein neues Selbstbewusstsein!

Ich vereinbarte dann am gleichen Tag mit meinem Chef, dass ich ihn als Spüler erst mal nicht im Stich lasse, und dass ich solange weiterhin arbeite, bis er einen neuen Spüler gefunden hat. Meine Bedingung war aber, dass in dieser Zeit keine neuen Forellen gekauft wurden, was er tatsächlich akzeptierte. Darum gab es 1979 in der Woche nach Neujahr keine Forellen im Gasthof Meyerhof in Menzenschwand. Die 9 befreiten Forellen musste ich bezahlen, was ich gerne tat. Allerdings war mein Chef dabei so fair, dass er mir nur den Einkaufspreis von
3,50 DM pro Forelle berechnete.

Als nächstes wohnte ich wieder bei meinen Eltern, und fand auch sofort einen neuen Job als Lagerarbeiter im Gottlieb (eine Supermarktkette von damals). Ich kaufte mir einen alten VW-Käfer von der Post, was mein erstes Auto war. Der neue Job und ein eigenes Auto stärkten mein neu gestartetes Selbstvertrauen natürlich noch mehr. Ab diesem Zeitpunkt konnte man sagen, dass ich den Horror-Trip, der ebensogut in einer lebenslangen Psychiatrie-Karriere hätte enden können, endgültig gut überstanden hatte, weshalb ich hier mit meinem Bericht darüber auch ende.



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